Neue Mitte Berlin

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In den Jahren 1997 bis 1999 habe ich die Entstehung der „Neuen Mitte“ Berlins festgehalten. Diese Serie besteht aus rund fünfzig Schwarzweißfotos. Mit der Errichtung der Mauer im August 1961 zerfiel Berlin in zwei Städte: in West- und Ost-Berlin. Nach dem Mauerfall kam eine dritte Teilstadt hinzu: die „Neue Mitte“, also das Regierungsviertel, der Potsdamer Platz und die Friedrichstraße vor allem. Nach den Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs, dem Wiederaufbau in Ost und West und dem Mauerbau war dieser Um- und Neubau die tiefgreifendste Verwandlung Berlins. Er sollte Berlin in den Rang einer Metropole erheben. Das wiedervereinte Berlin sollte eine neue, europäische Werteordnung symbolisieren, die den Kalten Krieg beendet.

Das Werden von Berlin Nr. 3 verlieh der Stadt ungeahnte Dynamik. Der Anblick der täglich wachsenden Rohbauten und des Baustellen-Durcheinanders elektrisierte. Das neue Berlin nährte vielerlei Hoffnungen, aber auch Befürchtungen. Residenzen der Regierungen und großen Konzerne, Yuppie-Quartiere und Luxusläden dominierten es, wie sich nach und nach herausstellte. Es roch nach Eliten- und Geldherrschaft.

War das das Ende des alten Berlin, der seligen Insel alternativer Lebensentwürfe? Leider ja; „Berlin (West)“ verschwand. In Ost-Berlin entstanden in den Neunzigern zeitweilig neue subkulturelle Zonen. Doch auch die Subkultur im Prenzlauer Berg musste der Gentrifizierung weichen.

Das neue Berlin drehte sich offensichtlich nicht um „das Volk“, das 1989 den Umbruch in Gang gesetzt hatte, oder überhaupt um „das Volk“. Die „Neue Mitte“ spiegelte außerdem das Unverhältnis von Ost und West, die gefährdete „Wiedervereinigung“. Die Frage war: Konnte zusammenwachsen, was – wie es hieß – zusammengehört? Wollte man überhaupt wissen, mit wem man es „hüben“ wie „drüben“ zu tun hatte? Hat man die Geschichte, die die beiden deutschen Teilstaaten verband oder doch eher trennte, angemessen aufgearbeitet?

Gab es einen politischen Plan, eine kulturelle Idee? Oder war alles nur flotte Eingemeindung im Stil einer feindlichen Übernahme, um des Profits und der Machtausweitung willen, mit idealistischer Glorie verschönt?

Auffällig war, dass sich die „Neue Mitte“ kaum auf ihre Umgebung, deren Bewohner und die urbane Historie bezog. Sie war eine Retortenstadt in der Stadt. Die schicken Neubauten entstammen überwiegend dem internationalen Architektur-Baukasten, mit anderen Worten: dem Geist der Globalisierung, der anonymen Finanztransaktionen und investorenfreundlichen Reißbrettkonstruktionen, aber keinem genius loci. So gesehen ist die „Neue Mitte“ kein Experimentierfeld demokratischer Selbstfindung, kein Freiraum. Sie ist vielmehr eine Sphäre technokratischer Ignoranz und Machtinszenierung. Nicht eine Werteordnung, sondern der Neoliberalismus hat sich hier ein Denkmal gesetzt.

Die dritte Spaltung Berlins habe ich nicht als Dokumentar begleitet, sondern als flanierendes Individuum. Ich wollte meine persönliche Sicht fixieren, ausgedrückt im Superweitwinkelblick der Serie, der die unpersönlich-zweckrationale Haltung der „Neuen Mitte“ hintertreibt.

Jetzt, im Jahr 2013, teilt sich Berlin ein weiteres Mal. Die inneren Stadtbezirke gehen in die Hände derer über, die es sich leisten können, dort zu leben, während die nicht so Wohlhabenden in die äußeren Bezirke abgedrängt werden. Mitte und Umgebung sind das Revier der Touristen und der Oberschicht. Dass Teile der East Side Gallery einem Luxus-Wohnturm weichen müssen, hat Symbolwert, ebenso der Abriss des Palasts der Republik und der geplante Wiederaufbau des Stadtschlosses. Die Tilgung eines DDR-Monuments und die Wiedererweckung der Monarchie bezeichnen eine Flucht aus der Historie. Ideelles Vakuum macht sich breit. Mehr denn je zählt das Geld, nicht Geschichte und gesellschaftliche Ideen: Berlin Nr. 4, die konsequente Fortsetzung dessen, was mit der „Neuen Mitte“ begann.